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Zusammenspiel der Realiatete als eines der Hauptprinzipien des Sujetaufbaus im Roman Stiller von Max Frisch


Zusammenspiel der Realiatete als eines der Hauptprinzipien des Sujetaufbaus im Roman Stiller von Max Frisch

Moskauer Staatliche Linquistische Universitaet

Lehrstuhl fuer Lexikologie und Stilistik der deutschen Sprache

Diplomarbeit

Das Zusammenspiel der Realitaeten als eines der Hauptprinzipien des

Sujetaufbaus im Roman von Max Frisch "Stiller"

eingerichtet von Irina Sizikova

Moskau 2003

Inhaltsverzeichnis
Einleitung………………………………………………………………….3
Kapitel I. Der Roman "Stiller" im Schaffen von Max Frisch. Problematik und
Strukturelle Besonderheiten des Romans……………………………………………6
1. Max Frisch, Biographie, kurzer Ueberblick……………………………………6
2. Der Roman "Stiller im Schaffen von Max Frisch. Identitaetsproblematik in

"Stiller"? "Homo Faber", "Mein Name sei Gantenbein"……………………..8
3. Strukturelle Besonerheiten des Romans "Stiller" und die Haltung des

Erzaehlers im Roman…………………………………………………………...11
1. Aufbau des Romans ……………………………………………………………..13
2. Form und Funktion des Tagebuchs………………………………………………14
3. Erzaehlsituation und Erzaehlhaltung……………………………………………..16
Schlussfolgerung…………………………………………………………………….20
Kapitel II Zusammenspiel der Realitaeten………………………………………..22
1. Der Begriff der textwirklichkeit, Fiktionalitaet und Virtualitaet im literarischen Text………………………………………………………………..22
2. Mehrschichtigkeit der Textwirklichkeit in "Stiller"…………………………27
1. Erzaehlte Geschichten……………………………………………………………29
2. Parabolische Geschichten………………………………………………………...32
3. Traeume…………………………………………………………………………..36
3. Der amerikanische und der schweizerische Text im Roman. Versuch einer vergleichenden Analyse…………………………………………………………44
1. Die raeumliche Perspektive………………………………………………………46
2. Die zeitliche Perspektive…………………………………………………………48
3. Stilebene………………………………………………………………………….52
Schlussfolgerung………………………………………………………58
Literaturverzeichnis…………………………………………………..62

Einleitung

Das Anliegen der vorliegenden Forschungsarbeit besteht darin, das
Phaenomen des Zusammenspiels der Textrealitaeten im Roman "Stiller" zu erlaeutern. Der Roman zeichnet sich durch komplizierten Aufbau, Fehlen der einheitlichen Erzaehlperspektive aus, was die Rezeption des Werkes fuer den
Leser zu keiner einfachen Aufgabe macht.

Das veranlasste uns die Textwirklichkeit zu erforschen und uns mit dem
Zusammenspiel verschiedener Textschichten auseinanderzusetzen.

Die Textwirklichkeit des Romas stellt in sich keine Ganzheit dar. Sie besteht aus vielen 'Kaestchen', die in die Hauptkonstruktion eingebaut sind. Viele Sprachwissenschaftler setzten sich mit diesem Textphaenomen auseinander (Padu?eva 1996; Lotman 1970; 1981; Hamburger 1977; 1979; Rudnev
1996 und andere).

Es handelt sich dabei um autonome Textteile wie Traum, erlebte Rede,
Luege, Erzaehlung in der Ezaehlung und aehnliche Erscheinungen, die in das
Textganze eingebettet sind. Im Rahmen der vorliegenden Forschung sind diese
Textfragmente in der Hinsicht von Interesse, dass ihre Wechselbeziehungen und Gegenueberstellung zum wesentlichen Element des Zusammenspieles der
Realitaeten wird.

Das Objekt der Forschung ist der Roman von Max Frisch "Stiller". Als
Gegenstand der Forschung treten Mittel und Instrumente auf, die zu Signalen der Umschaltung und des Spieles zwischen Fakt und Fiktion werden.

Das sind unter anderem:

( Traeume

( Die vom Protagonisten erzaehlten Geschichten

( Die zeitliche und raeumliche Perspektive im Roman

( Sprache und Stil

Die vorliegende Arbeit setzt sich dementsprechend zum Ziel moegliche
Wechselbeziehungen zwischen Realitaeten im Rahmen eines fiktionalen Textes am Beispiel des Romans von Max Frisch "Stiller" zu erlaeutern.

Damit dieses Ziel erreicht wird, sind folgende Aufgaben im Rahmen dieser Forschung zu loesen:

( Architektonik, Erzaehlhaltung, Mehrschichtigkeit des Textganzen, somit Aufbau und Tagebuchform zu beschreiben

( Den Einfluss dieser Faktoren auf den Effekt des Zusammenspiels der Textrealitaeten zu betrachten

(Einige Mechanismen des Zusammenspieles der Realitaeten zu erforschen und konkrete Mittel auszusondern, die vom Autor eingesetzt sind, um diesen Effekt zu schaffen.

Das Ziel und Aufgaben haben das Forschungsverfahren bestimmt. Das ist:

(Die Kontexteanalyse

(Analyse der mikro- und makrostilistischen Kategorien

(Vergleichende Analyse der Textfragmente

Die Struktur der Arbeit ist von gesetzten Zielen und Aufgaben gepraegt. Die vorliegende Diplomarbeit besteht aus einer Einleitung, zwei
Kapiteln, einer Zusammenfassung und einer Bibliographie.

Die Einleitung ist vorwiegend dem Forschungsthema, den gesetzten
Zielen und Aufgaben gewidmet.

Das erste Kapitel handelt von der Position, die der Roman im Schaffen von Max Frisch einnimmt, und vom Thema, das der Roman beinhaltet. Ausserdem wird in diesem Kapitel der Begriff "Offenheit" des literarischen Textes erlaeutert und es wird bewiesen, dass diese Erscheinung nachstehend den
Aufbau und die Form des Romans praegt. Von Bedeutung ist in diesem Teil auch die Erklaerung des Begriffs "Erzaehlsituation".

Das zweite Kapitel ist dem Phaenomen "Zusammenspiel der Realitaeten" gewidmet.

Im Laufe der Forschung wird aus zwei Sichten gezeigt, welche Mittel und Instrumente zum Effekt des Zusammenspieles beibringen.

In diesem Kapitel werden solche Erscheinung wie "Text im Text" und
"virtuelle Textwirklichkeit" untersucht.

Das Miteinbeziehen von der freudschen Theorie der Traumdeutung und
Belletristik setzt sich zum Ziel in diesem Teil der Forschung die Analyse durchsichtiger zu machen.

Im Rahmen des Forschungsthemas werden zwei im Roman dargestellte
"Welten" gegenuebergestellt und es wird bewiesen, wie die Opposition 'die
Schweiz- Amerika' zum Instrument des Zusammenspieles wird.

Dabei werden zeitliche und raeumliche Perspektive, Sprache und Stil der Beschreibung dieser zwei Laender miteinander verglichen und einander gegenuebergestellt.

In der Zusammenfassung werden Schlussfolgerungen gezogen.

I. Der Roman "Stiller" im Schaffen von Max Frisch. Problematik und strukturelleBesonderheiten des Romans

1. Max Frisch, Biographie. Kurzer Ueberblick

Max Frisch wurde am 15. Mai 1911 in Zuerich als Sohn eines Architekten geboren. Auf Draengen seines Vaters hin, begann er 1931 nach dem Abitur in seiner Heimatstadt ein Studium der Germanistik. Aus finanziellen Gruenden mußte er zwei Jahre spaeter, nach dem Tod seines Vaters das Studium abbrechen und arbeitete als freier Journalist. Im Rahmen dieser Taetigkeit fuehrten ihn Reisen in die Tschechoslowakei, nach Polen, Frankreich,
Bosnien, Griechenland und schließlich bis ans Schwarze Meer und nach
Konstantinopel. 1934 entsteht sein erster, von der Balkanreise inspirierter
Roman "Juerg Reinhart. Eine sommerliche Schicksalsfahrt". Nach seinen ersten schriftstellerischen Versuchen geraet Frisch in Selbstzweifel, er entschliesst sich mit Schreiben aufzuhoeren und verbrennt alle bis dahin entstandenen Manuskripte.

1936 beginnt Frisch, nachdem er auf Draengen seiner Verlobten den
Journalismus aufgegeben hatte, ein Architekturstudium. Erst 1939 faengt der nunmehrige Frisch wieder an zu schreiben. 1940 Veroeffentlichung von
"Blaetter aus dem Brotsack. Tagebuch eines Kanoniers" in dem er seine
Erfahrungen im Militaerdienst waehrend des Kriegsbeginns verarbeitet. 1942 erhaelt er das Architektendiplom (baut u.a. das Letzigraben Schwimmbad). Er heiratet nun Constanze von Meyenburg und eroeffnet mit ihr zusammen ein
Architektenbuero in Zuerich. Die Ehe mit Constanze wird 1959 nach laengerer
Trennung wieder geschieden. Fortan arbeitet Frisch im Doppelberuf als
Architekt und Schriftsteller. In der Zeitperiode von 1946 bis 1951 verfasst
Frisch Dramen, die die aktuelle Nachkriegszeit teils thematisieren, teils verfremden: "Nun singen sie wieder"(1946), "Die Chinesische Mauer"
(1947), "Graf Oedland" (1951).

Frisch unternimmt weiter inspirierende Reisen (z.B.Prag, Berlin, spaeter auch die USA, Japan), trifft unter anderem Berthold Brecht, der ihn sehr beeinflußte und Peter Suhrkamp (Verlag eroeffnete mit Frischs Werk
"Tagebuch 1946-1949"). Der endgueltige literarische Durchbruch gelingt ihm
1954 mit "Stiller". Das Buch wurde in etliche Fremdsprachen uebersetzt und brachte dem Autor den "Wilhelm- Raabe- Preis" der Stadt Braunschweig 1955, den "Schiller-Preis" der Schweizer Schillerstiftung 1955 sowie den "Welti-
Preis fuer das Drama" der Stadt Bern 1956.

Der nun unabhaengig gewordene Frisch wechselt haeufig den Wohnsitz, z.B. Berlin, New York, Tessin, kommt aber immer wieder zurueck nach
Zuerich. Mit der Urauffuehrung des Dramas "Herr Biedermann und die
Brandstifter" im Zuericher Schauspielhaus erringt Frisch seinen ersten
Buehnenerfolg und wird kurz darauf mit dem Georg-Buechner-Preis ausgezeichnet. In den 60er Jahren gewinnt Frisch wieder mehr Popularitaet
(nach der Entstehung seiner bedeutensten Werke), hauptsaechlich durch
Fernsehauftritte, zahlreiche Literaturpreise und seinem ersten großen internationalen Buehnenerfolg "Andorra". Das Stueck behandelt das Thema
Rassismus unter der Problematik des Gebots "Du sollst Dir kein Bildnis machen".

In den 70ern engagiert sich Frisch nun politisch, z.B. als Redner auf einem Parteitag von der SPD, reist als Begleiter der Delegation des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt nach China, nimmt mit F.
Duerrenmatt am Friedenskongress teil. Gegenlaeufig dazu findet er schriftstellerisch nicht mehr so großen Anklang. Er stirbt im Alter von 80
Jahren am 5.April 1991 in Zuerich, wo er auch geboren ist. Frisch erhielt ungewoehnlich viele Preise z.B. Friedenspreis des deutschen Buchhandels,
Schiller Preis von Baden Wuertenberg, Preis der jungen Generation fuer
"Andorra" und andere mehr.

2. Der Roman "Stiller" im Schaffen von Max Frisch.
Identitaetsproblematik in "Stiller", "Homo faber", "Mein Name sei
Gantenbein"

Die Helden in Max Frischs Werken leiden permanent am eigenen Ich. Max
Frisch selbst bezeichnete die zentrale Stellung der Identitaetsfrage und die damit zusammenhaengende Rollenhaftigkeit des Daseins, den Ich-Verlust und die Selbstwahl als sein ,"Warenzeichen". So will der Bildhauer Anatol
Stiller, die Titelgestalt des ersten der bedeutenden Romane (1954), ein neuer Mensch mit neuer Identitaet werden und so frueherem Versagen als
Kaempfer auf der Seite der spanischen Republik, als Ehemann und als
Kuenstler entfliehen.

Im zweiten der namhaften Romane, "Homo Faber" (1957), geht Frisch von entgegengesetzter Position ans Werk. Walter Faber, Techniker und Ingenieur, moechte an seinem technisierten Weltbild, in dem Schicksal und Gefuehle keinen Raum finden, festhalten. Aber er verstrickt sich immer mehr in unwahrscheinliche Zufaelle und irrationale Liebesempfindungen. Auf der
Suche nach Erlebnissen, die ihn in seiner Position staerken koennten
(glaubt selbst nicht mehr an Rollenhaftigkeit), holt ihn schließlich seine eigene Vergangenheit ein: Auf den Spuren seiner Geliebten und eigenen
Tochter, Sabeth, begegnet er der Welt, die er verlachte und kehrt wie
Stiller zum Ursprung zurueck: auch er ist am Ende ein Moerder, auch er allein. Bereits auf den ersten Seiten wird angesprochen: "Ich glaube nicht an Fuegung und Schicksal. Ich bin Techniker und gewohnt, die Dinge zu sehen, wie sie sind. Ich weigere mich Angst zu haben." (Faber spielt die
Rolle des Technikers konsequent aus).

In "Mein Name sei Gantenbein" (1964) steht die Verwandlung des Lebens in Geschichten im Mittelpunkt. Zu Beginn des Romans montiert der Ich-
Erzaehler die Figur aus dem Koerper eines Mannes aus Paris und dem Kopf eines Amerikaners zusammen, sie erhaelt den Namen Gantenbein. Mit der immer wiederkehrenden Formel "Ich stelle mir vor" (sowie auch Stiller mit "Ich erzaehle ihm eine Geschichte") probiert Gantenbein nun unablaessig
Geschichten wie Kleider aus, wobei immer wieder nur eine vorgestellte Welt zugelassen wird. Der Titelfigur bleibt kaum mehr eigene Individualitaet, deshalb bleibt ihr nur das Spiel mit Existenzen, dem Ausprobieren seiner
Selbst.

"Stiller" entstand im Jahre 1953 und wurde ein Jahr spaeter veroeffentlicht. Als der Roman erschien, hatte Max Frisch vor allem als
Theaterautor einen Namen. In kurzer Zeit erreichte der Roman als erstes
Buch des Suhrkamp-Verlages eine Millionenauflage.

In einem Gespraech mit Horst Bienek sagte Frisch zur Entstehung:

" Ich war ein Jahr in Amerika, und da ich ein Stipendium hatte, meinte ich fleissig sein zu muessen. Ich schrieb sechshundert Seiten, die misslangen. Eines Tages, zuhause, tippte ich wie oefters, wenn ich mich langweilte und mich unterhalten muss, ein paar Seiten. Ziellos, frei von dem beklemmenden Gefuehl, einen Einfall zu haben. Nichts geht leichter zugrunde, als ein Einfall, der sich selbst erkennt! Das blieben die ersten
Seiten vom "Stiller", unveraendert; das Material, das ich zum Weitertippen brauchte, stahl ich aus den sechshundert misslungenen Seiten ruecksichtslos, so dass das Buch nach dreiviertel Jahren fertig war. "
(Bienek 1969:21)

"Ich bin nicht Stiller" lautet die unerhoerte Aeußerung des Helden mit der der Roman einsetzt. Um die Schatten der eigenen Nichtigkeit loszuwerden, unternimmt er den Versuch nach langer Abwesenheit unerkannt und verwandelt in die Heimat zurueckzukehren, doch dies schlaegt fehl.
Spaeter kommt der Symbolgehalt des Namens Stiller zum Ausdruck. Auf einem
Landgut fristet Stiller sein Dasein: verstummt, zurueckgezogen, allein.

Der Roman ist in zwei Hauptteile untergegliedert, von denen der erste
Teil die "Aufzeichnungen im Gefaengnis" und die zweite Teil das
"Schlusswort des Staatsanwalts" beinhaltet.

Die Handlung findet im architektonischen Aufbau des Romans ihre
Entsprechung. Die zwei Handlungsstraenge ('White-und Stillerhandlung') fuehren am Ende zusammen, denn die Doppelidentitaet Stiller/ White wird zu einer Einheit. Noch weigert sich White Stiller zu sein:

"[…]; abermals vergleicht er Zahn um Zahn, wobei sich zeigt, dass
Stiller, der verschollene Kunde seines verstrorbenen Onkels, beispielsweise ueber einen tadellosen Achter-oben-rechts verfuegt haben muss; bei mir ist es eine Luecke." (Frisch 1992: 318)

Dann spricht er jedoch das erste Mal von Stiller in der Ich- Form und gibt schliesslich zu, Stiller zu sein.

"Das Urteil, das gerichtliche, wie erwartet: Ich bin (fuer sie) identisch mit dem seit sechs Jahren, neun Monaten und einundzwanzig Tagen verschollenen Anatol Ludwig Stiller[…]" (Frisch 1992: 381)

"Wielfried Stiller, mein Bruder, habe sich bereits erklaert, den
Betrag von Franken 9 361. 05 zu uebernehmen." (Frisch 1992: 383)

Max Frisch sagte so ueber sich selbst: Er sei ein defensiver, ein reagierender Schriftsteller. Er erfindet nicht Geschichten, um die Welt zu veraendern, sondern stellt die Welt dar, wie er sie erfahren hat, ohne den moralischen Anspruch zu erheben, Loesungen und Vorschlaege zum Bessermachen aufzuzeigen. Im Grunde sei er ein hilfloser Schriftsteller, der schreibt um zu bestehen, nicht um zu belehren und waere vielleicht am gluecklichsten, wuerde ihm ein Aufweichen seiner Problemwelt gelingen. Aus seiner Haltung als Schriftsteller resultiert auch die Erzaehlhaltung in seinen Romanen.

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3. Strukturelle Besonderheiten des Romans "Stiller" und die Haltung des Erzaehlers im Roman

Literatur entsteht immer in einer "Partnerbeziehung" zwischen Autor und Leser, weshalb der jeweilige Text in jedem Leser neu entstehen soll.

Frisch gibt keine fertigen Antworten und macht deshalb auf das
Problem des Offensichtlichen aufmerksam: "...alles sagen bedeutet ein
Entfernen". Das Offene in der Reproduzierbarkeit beim Konsumieren eines
Textes muß gewaehrleistet bleiben, sonst bleibt die Gefahr, daß man das
"Geheimnis zerschlaegt". Die schriftstellerische Form sollte deshalb eine
"stofflose Oberflaeche" bleiben, die es letztlich nur fuer den Geist geben kann.

In seinem Aufsatz "Zwischen Autor und Text" betont Umberto Eco unter anderem, dass der Autor zwar der Urheber des Textes ist, aber der Text ist nach seiner Entstehung autonom, so dass es Unterschiede zwischen der
Absicht des Autors und der Textintention geben kann. Ueber sich selbst als
Autor sagt Eco: "Das Geschriebene hat sich von mir abgeloest und fuehrt ein
Eigenleben." (Eco 1992: 91). Mit dieser Behauptung verweisst der
Wissenschaftler auf den Aspekt der Offenheit, die das literarische Werk hinsichtlich der Moeglichkeiten der Entwicklung seiner Handlung aufweisst.

Das trifft auch die Autorenposition von Max Frisch. Ein Buch ist fuer ihn nur dann lesenswert, wenn es ausreichend Platz fuer den Reichtum der eigenen Gedanken laeßt. Dieser Gedanke ist verknuepft mit Frischs Abneigung gegen die vollendeten Formen in der Literatur bzw. mit seinem eigenen Weg der Skizzen, Tagebuecher, Berichte. In einer skizzenhaften, unvollendeten
Form eines literarischen Textes ist die Gefahr, daß der Autor dem Leser die eigene Reproduktion durch allzu offensichtliche Vollendung vorenthaelt, und ihm dadurch sein eigenes Bildnis aufzwingt, am geringsten. Die Skizze soll nach Frisch nur die Richtung aufzeigen, nicht aber das Ende.

Die von Frisch im "Stiller" gewaehlte Form des Erzaehlens bewirkt, dass der Leser einen sehr eingeschraenkten Blickwinkel hat. Daher muss er sich automatisch mehr Gedanken machen, um von der ersten Seite des Buches an den unbekannten Faden zu spinnen und Verbindungen zwischen den
Erlebnissen Stillers zu knuepfen. Die knappe Information, die der Leser beim Rezeptionsvorgang erhaelt, ergibt Leerstellen, die er mit eigenen
Assoziationen, Theorien und Vermutungen fuellt, welche jedoch auch zerstoert werden und zu neuen Ueberlegungen veranlassen. Durch die gewaehlte Romanform wird der Leser aktiv, er muss sich permanent mit dem wechselhaften Erzaehlvorgang auseinandersetzen. Die multiperspektivische
Darstellung der Personen und Charaktere fuehrt zu vielseitigen
Moeglichkeiten der Interpretation. Der Leser muss sich sein eigenes Bild machen, in dem er sich kritisch und distanziert mit dem Erzaehler und dessen Eigenarten auseinandersetzt.

Die Offenheit der Struktur des Romans macht den modernen Roman, so wie ihn Max Frisch entstehen laesst, ueberhaupt moeglich. Das Losgeloestsein von einer konventionellen Romanform laesst den Leser unvoreingenommen dem
Werk entgegentreten und in eine neuartige Moeglichkeit des
Rezeptionsvorgangs eintauchen.

Gerade durch diese Einstellung des Autors zu seinen Werken sind in bedeutendem Ausmass einige Besonderheiten der Architektonik des Romans zu erklaeren, solche wie Erzaehlhaltung, Aufbau und Tagebuchform,
Mehrschichtigkeit der Textwirklichkeit.

3.1 Aufbau des Romans

Die Form dieses Romans, seine Struktur und seine
Erzaehlperspektive sind haeufig bewundert worden, so von Friedrich
Duerrenmatt in seinem "Fragment einer Kritik" und von Walter Jens. Eine genaue Untersuchung hat Karlheinz Braun vorgenommen.

Ich möchte zunaechst den ausseren Aufbau des Romans betrachten.
Das Buch besteht aus zwei ungleichen Teilen, deren erster, weitaus umfangreicherer, Stillers Aufzeichnungen im Gefangnis umfasst, waehrend der zweite das Nachwort des Staatsanwalts enthaelt. Die Aufzeichnungen im Gefangnis sind wiederum in sieben Hefte gegliedert, deren Umfang im
Durchschnitt etwa dem Nachwort des Staatsanwalts entspricht.

Die sieben Hefte des ersten Teils scheinen auf den ersten Blick mit den verschiedensten Elementen gefuellt zu sein: Lange Rueckblenden stehen neben Gegenwartserlebnissen im Gefaengnis und an den
Kautionsnachmittagen, die Knobel erzaehlten Abenteuer neben den parabolischen Geschichten, Gespraeche mit Besuchern, Verteidiger und
Staatsanwalt neben Traeumen und Reflexionen des Tagebuchschreibers.
Eine genauere Analyse zeigt aber, wie kunstvoll diese scheinbar zufaellig nebeneinander stehenden Teile zusammengefuegt, neben- und gegeneinander montiert sind, so dass sie sich gegenseitig ergaenzen und spiegeln.

Sie folgen aufeinander nach folgendem Prinzip: Die in Ichform gehaltenen Erlebnisse des Haeftlings White wechseln alternierend mit dem, was er nach Erzaehlungen anderer (Julikas, Rolfs und Sibylles) zu protokollieren vorgibt. So fuellt die Darstellung der Ehe Stillers und
Julikas das zweite umfangreichste Heft der Aufzeichnungen, die Ehe zwischen Rolf und Sibylle, in der Stiller ja als Sibylles Liebhaber aufgetaucht ist, das vierte, die Liebesgeschichte zwischen Sibylle und
Stiller das sechste Heft.

Diese drei Hefte sind also fast ausschliesslich der Vergangenheit gewidmet, sie enthalten die Stiller-Handlung. Hefte 1,3 und 5 dagegen geben die Erlebnisse und Gedanken Whites im Gefangnis und in Amerika wieder; diese Hefte stellen die White-Handlung dar. Die
Identitaetsspaltung zwischen White und Stiller findet in dieser
Struktur ihre genaue Entsprechung.

Eine Sonderstellung nimmt das siebente Heft ein: Der
Tagebuchschreiber weigert sich zwar noch immer Stiller zu sein, berichtet aber andererseits zum ersten Male von Stillers Erlebnissen in der Ichform. (vgl. Frisch 1992: 334) Am Ende des siebenten Buches sind mit dem Urteilsspruch White und Stiller identisch geworden, beide
Handlungsstraenge sind ineinander geflossen. Es ist also auch formal konsequent, dass hier die Tagebuchform aufhoert und ein neuer Erzaehler zu Worte kommt.

3.2 Form und Funktion des Tagebuchs

Max Frisch bedient sich der Tagebuchform. Diese Form findet sich haeufig bei Frisch, angefangen von den "Blaettern aus dem Brotsack" bis hin zu "Montauk". Die beiden "Tagebuecher 1946-1949 und 1966-1971" gehoeren zu seinem schriftstellerischen Werk nicht weniger als seine
Romane, doch ist die Art und Funktion dieser Form nicht ueberall die gleiche.

Auf die Besonderheit und Funktion der Tagebuchform im Roman
"Stiller" moechte ich eingehen.

Vom Tagebuch kann man, genau genommen, nur in den Heften mit ungerader Numerierung sprechen. Dort sind Erlebnisse und Gedanken des
Untersuchungshaeftlings festgehalten, er schreibt in der ersten Person und meist in der Gegenwart. Die eingeflochtenen Geschichten und die
Knobel und dem Verteidiger erzaehlten Amerika-Erlebnisse ueberschreiten eigentlich schon den Charakter des Tagebuchs; sie enthalten
Rueckwendungen, die dazu bestimmt sind, fuer Mr. White eine
Vergangenheit aufzuzeigen. Das Ich, das hier von sich spricht, ist nur eine Fiktion; nur die in der dritten Person gehaltenen Protokolle beschaeftigen sich mit dem 'eigentlichen' Ich, dem Titelhelden des
Buches.

Ñòðàíèöû: 1, 2, 3, 4


ÈÍÒÅÐÅÑÍÎÅ



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