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Zusammenspiel der Realiatete als eines der Hauptprinzipien des Sujetaufbaus im Roman Stiller von Max Frisch


p> "Noch immer mit der warmen Ruhe der Zuversicht versuche ich Julika zu erklaeren, warum sie, so sie mich wirklich liebt, kein Gestaendnis von mir braucht, dass ich ihr verschollener Gatte sei." (Frisch 1992: 367)

"[…], nach einigem Warten, […], erhebe ich mich, spuere ploetzlich sehr schwere Beine, staube meinen Mantel ab, um Zeit fuer irgendeine gluecklichere Wendung zu lassen, gehe endlich zur Tuere, […], die geschlossen ist. Geschlossen." (Frisch 1992: 368)

""Da!"-lache ich vor Wut, die mich im Grunde doch nicht verlassen hat, und reisse so ein Sacktuch ab, ratsch, und wie erwartet: lauter Staub, von keinem Verteitiger zu halten, ein Gebroesel von trockenem Lehm, und das naechste ebenso, Mumien, nichts als Mumien, das ist aber auch alles, was von ihrem verschollenen Stiller sich haelt, der Rest ist Erde, wie der
Pfarrer sagt, ein paar graubraune Klumpen auf dem Boden, vor allem aber eine Wolke von braunem Staub, wenn ich die Sacktuecher schuettle." (Frisch
1992: 370)

War das Gefuehl, in dreifacher Hinsicht versagt zu haben, der Grund fuer Stillers Flucht nach Amerika, so lohnt es sich zu fragen, ob es ihm dort gelungen ist, sich ein neues Leben und eine neue Identitaet mit sich selbst aufzubauen. Dem naiven Waerter Knobel gegenueber, der seine
Erzaehlungen staunend und glaeubig anhoert, zeichnet er ein Gegenbild: einen erfolgreichen Mann, der sich ohne Hemmungen nimmt, was er haben moechte, und der Glueck bei den Frauen hat. So ermordet er den Haaroel-
Gangster Schmitz mit dem Dolch, weil "dem in einem ordentlichen Rechtsstaat nicht beizukommen ist" (Frisch 1992: 25); rettet eine Mulattin aus dem brennenden Saegewerk, erschiesst ihren Mann Joe: "Liebst du mich oder liebst du ihn?[…] Und Schuss. Und kein Wort mehr von Joe" (Frisch 1992:
52).

Die Wirklichkeit seines Amerika-Aufenthaltes hat offenbar anders ausgesehen. Wenn man auch nur wenig ueber Stillers Leben dort erfaehrt, so wird doch deutlich, dass er seine Vergangenheit, insbesondere seine
Schuldgefuehle gegenueber seiner Frau, auch hier nicht abschuetteln kann.
Sinnbild dieser Bindung an die Vergangenheit ist die Geschichte von der
Katze, die leitmotivisch das Tagebuch durchzieht. Wenn wir die Gestalt von
"Little Grey" in die Analyse miteinbeziehen, koennen wir feststellen, dass
White in diesem Bild symbolisch fuer Stiller steht. Die Beziehung von White zu seiner Katze zeigt Interpetationsmoeglichkeiten bezueglich derselben zu den Beziehungen von Stiller und Julika. Es war in Oakland/ California, und er durfte im Hause wohnen, wenn er dafuer die Katze fuetterte. Wenn sie ihn stoerte, warf er sie hinaus. Doch sie fand wieder ins Haus: "Es wurde ein
Kampf um Ausdauer… weil sie um meine Huette jaulte und mich der ganzen
Nachberschaft verschrie… Ihr Blick drohte mit sterben…"(Frisch 1992: 62)

Es ist genauso wie bei Julika, durch deren Krankheit er sich an sie gefesselt fuehlt. Auch das Gefuehl der eigenen Minderwertigkeit gegenueber
Julika uebertraegt er auf die Katze:"Sie lebte… wenn auch mit der Miene einer Siegerin…" (Frisch 1992: 339)

Die Tatsache, dass Stiller die Katze einmal in dem Eisschrank eingesperrt hat, koennte Julika's Frigiditaet symbolisieren, ueber die sich
Stiller im Nachwort bei Rolf beklagt.

Er wird die Katze, die er einmal als "Vorbote(n)" bezeichnet (61) und die er innerlich mit seiner Frau in Beziehung setzt (Frisch 1992: 339), ebenso wenig los wie seine Vergangenheit.

Den letzten verzweifelten Schritt, damit zu brechen, stellt der
Selbstmordversuch dar, den Stiller zwei Jahre vor seiner Rueckkehr in die
Schweiz unternimmt. Es ist der Versuch, "ein Leben, das nie eines gewesen war" (Frisch 1992: 381), von sich zu werfen. Der Schmerz und der Schrecken, die hinterher einsetzen, zeigen ihm, dass er lebt; er nennt dieses Erlebnis seinen Engel. Nun will er so leben, "dass ein wirklicher Tod zustandekommt"
(Frisch 1992: 381), das heisst, dass er mit sich selbst identisch wird.
Stiller kann ueber dieses Erlebnis nur in Andeutungen berichten, es "ist nicht verbalisierbar, dabei ist gerade darin seine tiefste Erkenntnis ueber sich selbst begruendet" (Tildy 1967: 23). Das Gefuehl, von diesem Zeitpunkt an ein neues Leben begonnen zu haben, "die bestimmte Empfindung, jetzt erst geboren worden zu sein" (Frisch 1992: 381), ist der tiefste und meiner
Meinung nach der eigentliche Grund, weswegen der Heimkehrer sich weigert seinen frueheren Namen wieder anzunehmen. Denn damit geriet er unweigerlich wieder in sein frueheres Leben hinein, ubernaehme eine Rolle, in die er nicht mehr passt. Niemand ist naemlich bereit in ihm einen neuen, gewandelten Menschen zu sehen, jeder sucht in ihm nur die Zuege des Anatol
Stiller, die er von frueher her kennt. Darum heisst es schon auf S. 49:
"Ich bin nicht ihr Stiller [...] Wozu mein Geflunker? Nur damit sie mir meine Leere lassen, meine Nichtigkeit, meine Wirklichkeit, denn es gibt keine Flucht, und was sie mir anbieten, ist Flucht, nicht Freiheit, Flucht in eine Rolle". (Frisch 1992: 49)

" Es gibt keine Flucht" - dieser Satz taucht immer wieder auf und diese Einsicht ist eine der Grundlagen des Romans ueberhaupt, denn weil
Stiller erfahren hat, dass Flucht vor sich selbst nicht nuetzt, um mit sich selbst fertig zu werden, kehrt er in die Schweiz zurueck. Aber mit der
Rueckkehr in die Schweiz ist die Flucht vor sich selbst noch nicht aufgehoben, denn der Gefangene weigert sich die Identitaet mit dem
Verschollenen zu gestehen.

Max Frisch hat in seinem Roman eine innere, psychische Situation, naemlich die Flucht vor sich selbst als eine aeusserliche Situation dargestellt. Der Roman ist eine Darstellung eines Ich-Zerfalls und zugleich der Versuch der Wiederherstellung, der Heilung durch Selbstsuche. Gleich mit dem Beginn des Romans faengt diese Selbstsuche an und in dieser
Ausseinandersetzung mit sich selbst liegt die psychoanalytische Faerbung des Romans.

"Was Frisch hier darstellt, ist tatsaechlich eine Art Selbstanalyse als Reaktion auf das Scheitern der Flucht vor sich selbst, und diese
Selbstanalyse hat sehr viel Aehnlichkeit mit der psychoanalytische
Therapie" (Wesstein 1967: 256)

3. Der amerikanische und der schweizerische Text im Roman.

Versuch einer vergleichenden Analyse

Das Zusammenspiel der Realitaeten kann aus einer anderen Sicht untersucht werden, die aber von dem Begriff der Mehrschichtigkeit in
"Stiller" nicht wegzudenken ist. Das ist die Opposition 'die Schweiz-
Amerika', wo Amerika aus Stillers Perspektive fuer die Welt der Flucht steht und die Schweiz der Ort seines Versagens ist.

Bei der kritischen Darstellung der Schweiz muss zwischen der Stillers und der Whites unterschieden werden, das heisst zwischen den kritischen
Aeusserungen Stillers vor seiner Flucht nach Amerika, die von anderen
Personen berichtet werden, und denen, die der Ich- Erzaehler in der
Gegenwart selbst ausspricht.

Im Rahmen der vorliegenden Analyse ist gerade Whites Position gegenueber der Schweiz von Bedeutung, insbesondere in ihrer Opposition zu
Amerika, weil sie zu einem Instrument des Zusammenspieles zwischen Fakt und
Fiktion wird.

Die Gesellschaftskritik Mr. Whites ist durch die Form bestimmt. Der
Ich- Erzaehler tritt als Amerikaner auf, er schildert die Welt, die er sieht, quasi von aussen, als Fremder, wenn er schreibt: " Zuerich koennte ein reizendes Staedchen sein" (Frisch 1992: 77) (und darin liegt schon eine gewisse Kritik), wenn er Zuericher Grossmuenster "eine Art kleine
Kathedrale" nennt, so glaubt man zunaechst, White sei wirklich ein Fremder.
Allmaehlich aber gewinnt seine Kritik an der Schweiz eine Schaerfe, wie sie ein Fremder wohl nicht aufbraechte. Der Verteitiger nimmt es auch als
Beweis dafuer, dass sein Mandant Schweizer und somit der gesuchte Stiller ist.

" Sie wollen mir nur vormachen, dass Sie kein Schweizer sind und somit nicht Stiller", sagt er, " aber Sie werden mir nichts vormachen; ihr Hass gegen die Schweiz beweisst mir noch lange nicht, dass Sie kein Schweizer sind. Im Gegenteil!" ruft er, da ich lache, " gerade damit verraten Sie sich." (Frisch 1992: 196)

Der Tagebuchschreiber betont jedoch, dass seine Kritik eigentlich nicht der Schweiz gelte: " Ich hasse nicht die Schweiz, sondern die
Verlogenheit" (Frisch 1992: 196). Diese Erscheinung ist keinesfalls auf die
Schweiz beschraenkt, entzuendet aber stets die Kritik an den Schweizer
Verhaeltnissen. Sie scheinen alles zusammenzufassen, was Stiller an der buergerlichen Gesellschaft ueberhaupt kritiesiert. Das haengt wohl mit der
Funktion zusammen, die die Schweiz fuer ihn und seine Identitaetsfindung hat. So meint Jurgensen: " Stillers Gesellschaftskritik ist ein wesentlicher Bestandteil seiner Selbstanalyse" (Juergensen 1972: 80)

1. Die raeumliche Perspektive

Der Schweiz, deren raeumliche und geistige Enge Stiller ein Aergernis ist, wird im Roman ein Gegenbild gegenuebergestellt: Amerika, Sinnbild der
Weite, des urspruenglichen, nicht genormten Lebens.

In folgenden Zitaten kommt diese Gegenueberstellung durch die Wortwahl zum Ausdruck, wobei fuer die Schweiz Epitheta wie "klein, angemessen, genuegend" und fuer Amerika solche wie "gross, gluehend, unsaeglich, bluehend" gewaehlt werden:

"Meine Zelle- ich habe sie eben mit meinem Schuh gemessen, der nicht ganz dreissig Zentimeter hat - ist klein wie alles in diesem Land, sauber, so dass man kaum atmen kann vor Hygiene, und beklommend gerade dadurch, dass alles recht, angemessen und genuegend ist." (Frisch 1992: 15-16)

"Ich sitze in meiner Zelle, Blick gegen die Mauer, und sehe die
Wueste. Beispielsweise die Wueste von Chihuahua. Ich sehe ihre groesse Oede von bluehender Farben, wo sonst nichts anderes mehr blueht, Farben des gluehenden Mittags, Farben der Daemmerung, Farben der unsaeglichen Nacht."
(Frisch 1992: 26)

Stiller versucht dem engen und konventionellen Leben in Europa zu entfliehen und auf dem neuen Kontinent ein freieres Leben zu beginnen.
Allerdings soll diese Deutung eingeschraenkt werden: Sie gilt im "Stiller" vor allem fuer Mexiko. Was Stiller fasziniert, ist nicht nur die Weite, die metaphorisch fuer seelische Freiheit steht, sondern auch die
Selbstverstaendlichkeit, mit der die Menschen in Mexiko dem Leben und Tod gegenueberstehen. Der Erinnerung an den Totentag in Mexiko wird kurz darauf der Besuch auf dem Friedhof in Zuerich am Grabe der Mutter gegenuebergestellt: hier die wortlose Hilfslosichkeit zweier Protestanten gegenueber dem Phaenomen des Todes, dort der selbstverstaendliche Einklang von Leben und Tod.

" Ich muss […] an den Totentag denken, wie ich ihn auf Janitzio sah, an die indianischen Muetter, wie sie auf den Graebern kauern die ganze
Nacht, alle in ihren festlichen Trachten, sorgsam gekaemmt wie fuer die
Hochzeit, und scheinbar geschieht ueberhaupt nichts, der Friedhof ist eine
Terrasse ueber dem schwarzen See[..], ein Friedhof ohne einen einzigen
Grabstein oder sonst ein Zeichen […], dazu die Teller mit allerlei Speisen, die mit einem sauberen Tuechlein bedeckt ist, vor allem aber das sonderbare
Ding, das mit weihnachtlicher Liebe gebastelt worden ist, ein Gestell aus
Bambus, daran das Gebaeck und Blumen, die Fruechte, das bunte Zuckerzeug."
(Frisch 1992: 319)

"Das Grab der Mutter: - wie Graeber hierzulande eben sind, mit gestelltem Granit saeuberlich eingefasst, alle etwas zu kurz, so, dass man den Schrecken hat, den Toten auf den Fuessen zu stehen, dazwischen
Kieswege, immergruen am Rand, in der Mitte des Grabes eine toenerne Vase, ein paar welke Astern drin, hintern dem Stein eine rosige Blechbueckse, um die Blumen zu begiessen." (Frisch 1992: 324)

Sehr viel kritischer aeussert sich der Tagebuchschreiber ueber New
York. Waehrend der Staatsanwalt von der Rainbow- Bar schwaermt, erzaehlt er ihm von der Bowery, einem "Viertel, wo auch die Polizei nicht mehr hingeht,
Gefilde der Verlorenen" (Frisch 1992: 176), wo er in einem betrunkenen
Greis seinen Stiefvater zu erkennen glaubt. Hier zeigt sich, dass es
Stiller nicht um die Gesellschaftskritik geht, sondern dass er ueberall seine persoehnliche Problematik sieht. Dies geht auch vor allem aus der
Schilderung seiner ersten Eindruecke nach der Landung hervor, wo es heisst:

" Ich sah die Praerie, die Schlaechtereien von Chikago, die Mormonen, die Indianer, die groesste Kupfergrube der Welt […]." Und doch verfolgt ihn der Gedanke an seine " grazile Balletteuse". (Frisch 1992: 338)

Diese Stelle im Roman zeugt davon, dass der Ankoemmling, der von seinem frueheren Leben flieht, seine Identitaet leugnet, trotzdem seine
Vergangenheit mit seiner Gegenwart vergleicht, mit anderen Worten sie nicht loswird.

2. Die zeitliche Perspektive

Wie gesagt, kann der Tagebuchschreiber seine Vergangenheit nicht abschuetteln. Diese Tatsache widerspiegelt sich auch auf der Zeitebene, wo
Vergangenheit und Gegenwart ineinander verflochten bleiben. Dadurch entstehen Brechungen, sodass sich Ereignisse gegeseitig spiegeln und erhellen.

Keine chronologisch erzaehlte Handlung ist im Roman vorhanden, sondern ein kompliziertes Geflecht mehrerer Zeitebenen. Die Vergangenheit wird in
Form von Rueckerinnerungen und Berichten in die Gegenwart hereingeholt und mit ihr konfrontiert.

"Ich soll mein Leben erzaehlen, und wenn ich versuche, mich verstaendlich zu machen, sagen sie: Hirngespinste! […]. Mein Verteidiger hoert zu, solange ich von meinem Haus in Oakland rede, von Negern und anderen Tatsachen; sowie ich zur wahren Geschichte komme […] putzt mein
Vertedtiger sich die Fingernaegel, wartet nur darauf, mich zu unterbrechen mit irgendeiner Lappalie: "Sie hatten ein Haus in Oakland?" […] Es war vier
Meter breit und dreizehn Meter lang (mein Verteitiger notiert, das ist es, was er wissen will!) und eigentlich, ganz genau zu sein, war es eher eine
Schindelhuette." (Frisch 1992: 60-61)

In diesem Zusammenhang kann man behaupten, dass die Zeit zum Objekt und zugleich zum Instrument im Zusammenspiel der Realitaeten wird.

Wenn wir die Zeitstruktur des Romans unter die Luppe nehmen, ist auch in erster Linie zwischen dem schweizerischen und amerikanischen/ mexikanischen Text zu unterscheiden. Fuer das, was aus Amerika berichtet wird, ist keine genaue Datierung festzulegen, mit Ausnahme des
Selbstmordversuchs, den Stiller vor seiner Rueckkehr unternimmt. White hat also keine Vergangenheit, die sich erzaehlen liesse, er gibt nur einzelne
Impressionen wieder, einzelne, nicht chronologisch aufeinander folgende
Erinnerungen, die sich meist auf den Aufenthalt in Mexiko beziehen. Diese
Mexiko-Erinnerungen sind haeufig im Praesens geschrieben, ein Zeichen fur eine Art Zeitlosigkeit des dortigen Lebens.

Im Unterschied dazu ist fuer den 'schweizerischen Text' eine andere
Zeitform, das Praeteritum, charakteristisch.

"Auf dem Tischlein standen drei Rosen, alles im Preis inbegriffen und alles, versteht sich, bei Kerzenlicht." (Frisch 1992: 298)

"Mexiko! Man erinnert sich an Farbfilme, und genauso ist es, malerisch, sehr malerisch, und doch, in Wirklichkeit, gibt es Augenblicke, wo man sich ploetzlich fuerchtet. Es stinkt nach einem toten Hund. Kinder sitzen mit nacktem Hintern auf dem Unrat, auf dem Faeulnis alter Fruechte.
Auf dem Boden liegt die Ware, ich sehe sie noch heute: Bohnen und Erbsen,
Nuesse, Fruechte, die ich zum erstenmal sehe. " (Frisch 1992; 29)

Es sind die Impressionen eines rollenlosen, entindividualisierten
Ichs, (Lusser- Mertelsmann 1976: 62) das keine Vergangenheit und keine
Zukunft kennt. Diese gewissermassen zeitlose Existenzweise wird auch vom
Tagebuch-Ich uebernommen, das entgegen dem ueblichen Gebrauch seine
Eintragungen ohne Datum vornimmt. Wir koennen zwar den Fruehherbst 1952 als
Datum der Rueckkehr festlegen, erfahren aber nicht genau, wie lange die
Untersuchungshaft dauert.

Die Gegenwartsebene- die Monate der Untersuchungshaft, der schweizerische Text - wird nun der durch Rueckwendung hereingeholten
Vergangenheitsebene gegenuebergestellt. Das 2. Heft holt dabei zeitlich am weitesten aus, es beginnt mit dem Kennenlernen Stillers und Julikas kurz nach seiner Ruckkehr aus Spanien und erzaehlt von da an die Geschichte ihrer Ehe, jedoch nicht einfach chronologisch, sondern nach einer kurzen
Schilderung des Anfangs und der Probleme dieser Ehe springt der Bericht sofort auf das Krisenjahr 1945 (das war vor etwa sieben Jahren - (Frisch
1992: 94). Dieses wird nun von Julikas Standpunkt aus ausfuehrlich geschildert, dazwischen aber heisst es: Hier waere etwas nachzutragen
(Frisch 1992: 139), und nun erst erfahren wir Stillers Spanienerlebnis aus dem Jahre 1935. Dies ist - mit Ausnahme einiger Kindheitserlebnisse, die aber nicht in unmittelbarer Beziehung zur Handlung stehen - der frueheste im Roman dargestellte Zeitpunkt. Die Gegenwart macht sich also immer wieder bemerkbar, auch in den Rueckwendungen.

Die beiden anderen der Vergangenheit gewidmeten Hefte - 4 und 6 -haben zwar eine einfachere Zeitstruktur, weil sie fast ausschliesslich vom Jahr
1945 handeln. Aber auch hier ist die Erzaehlung immer wieder durch
Einschuebe in der Gegenwart unterbrochen, nicht nur durch die bereits erwaehnten Bemerkungen und Kommentare des Tagebuchschreibers, sondern auch durch Ereignisse und Reflexionen in der Gegenwart. So heisst es im 4. Heft ploetzlich: "Sibylle (die Frau meines Staatsanwalts) hat gestern kurz nach
Mitternacht ein beinahe siebenpfundiges Maedchen geboren" (Frisch 1992:
218), oder im 6. Heft: "Manner sind komisch!" findet Sibylle noch heute""
(Frisch 1992: 284), und nach dem Bericht, dass Sibylle sich in Le Havre eingeschifft habe: "Mein Freund, der Staatsanwalt, meldet, dass die
Schlussverhandlung (mit Urteilsspruch) auf Dienstag in acht Tagen angesetzt ist " (Frisch 1992: 308). Die Gegenwart bleibt also im Bewusstsein des
Lesers immer vorhanden. Karlheinz Braun kommentiert diesen Sachverhalt folgendermassen: "Es ist deutlich, dass in diesen Heften die Vergangenheit dominiert, doch Frisch macht von der Moeglichkeit, die momentane Gegenwart aufleuchten zu lassen, so reichlich Gebrauch, dass sich hier Vergangenheit und Gegenwart eigentuemlich vermischen" (Braun 1959: 78)

Das 7. Heft nimmt sowohl in der Erzaehlhaltung als auch in der zeitlichen Struktur eine Sonderstellung ein. Es enthaelt zunaechst, ebenso wie die anderen Hefte mit ungerader Numerierung, Erlebnisse im Gefaengnis, also in der Gegenwartsebene: Besuch beim Zahnarzt, Gespraech mit dem
Staatsanwalt, Gang auf den Friedhof und Besuch von Freunden, gemischt mit
Reflexionen und Erinnerungen an Mexiko, die uebrigens wieder im zeitlosen
Praesens geschrieben sind. Danach folgt die Rueckwendung auf Stillers
Vergangenheit in der Ich-Form, beginnend mit den Worten: "Es ist ja nicht wahr [...]" (Frisch 1992: 334). Schliesslich wird ein ganzer Tag im
Gefaengnis protokolliert, eingeleitet durch die Substantive mit zeitlicher
Bedeutung: 1. Der Vormittag, 2. Das Mittagessen, 3. Der Nachmittag. Diese
Protokolle werden immer ausfuehrlicher, der Bericht vom Nachmittag nimmt 23
Seiten ein (355-378). Hier naehert sich die Erzaehlzeit der erzaehlten
Zeit, so wie sich die White-Handlung der Stiller-Handlung naehert und schliesslich mit ihr verschmilzt. Das Protokoll war bisher die Form, in der die Vergangenheit Stillers dem Leser vermittelt wurde. Dass sie hier auf die Gegenwartsebene, den Aufenthalt im Gefangnis, angewandt wird, ist ein
Zeichen dafuer, dass der Tagebuchschreiber White Stillers Vergangenheit als die seinige uebernimmt. Das Gefuehl ein neuer, anderer Mensch zu sein, das ihn auch jetzt nicht verlaesst, wird erst jetzt, unmittelbar vor der
Urteilsverkuendung, durch den Bericht von seinem Selbstmordversuch und die daraus resultierende Empfindung einer Neugeburt begruendet. "Ich hatte die bestimmte Empfindung erst jetzt geboren worden zu sein, und fuehlte mich mit einer Unbedingtheit, die auch das Laecherliche nicht zu fuerchten hat, bereit, niemand anders zu sein als der Mensch, als der ich eben geboren worden bin, und kein anderes Leben zu suchen als dieses, das ich nicht von mir werfen kann" (Frisch 1992: 381).

Dies ist die einzige Rueckwendung auf den Amerika-Aufenthalt, die zeitlich datiert wird: "Vor etwa zwei Jahren versuchte ich, mir das Leben zu nehmen "(Frisch 1992: 378).

Im Zusammenhang mit dem Gesagten, koennen wir zum Schluss kommen, dass die Zeit im Roman auch als Element des Spieles fungiert. Das kann durch die
Tatsache bewiesen werden, dass die Zeitlosigkeit im amerikanischen Text als
Zeichen der Irrealitaet des dortigen Lebens fungiert und fuer die Schweiz dagegen detailierte Zeitangaben typisch sind.

3. Die Stilebene

Nicht nur in raeumlich-zeitlicher Hinsicht lassen sich die Schweiz und
Amerika gegenueberstellen. Diese zwei Welten, zwei verschiedene
Realitaeten, werden auch auf der Stilebene miteinander konfrontiert. Das gilt in erster Linie Landschaftsbeschreibungen. Nachstehend werden drei
Landschaftsschilderungen aus der sprachlicher Sicht analysiert und verglichen.

Die erste ist die Beschreibung der Wueste in Mexiko. Hier arbeitet der
Erzaehler mit Anaphern: "Farben des gluehenden Mittags, Farben der
Daemmerung, Farben der unsaeglicher Nacht" (Frisch 1992: 26); mit
Wortwiederholungen: "Sand und Sand und wieder Sand" (Frisch 1992:26), vor allem aber mit zahlreichen Vergleichen. Bei diesen Vergleichen faellt auf, dass sie haeufig das Gesagte wieder einschraenken: "wie Orgelpfeifen oder siebenarmige Leuchter, aber haushoch, […] nicht eigentlich gruen, eher braeunlich wie Bernstein." (edg.: 26) Manchmal wird auch der poetische wirkende Vergleich durch den prosaischeren ersetzt: "[…] wie mattes Gold oder auch wie Knochenmehl" (ebd.) dadurch wird der gehobene Stil immer wieder gebrochen. Ebenso heisst es am Schluss der Beschreibung der Wueste:
"Es erfuellte uns, ich erinnere mich, ein feierlicher Uebermut; kurz darauf platzte der hintere Pneu" (Frisch 1992: 27)

Das eben beschriebene Stilmittel wird bei der zweiten grossen
Beschreibung, der New Yorks, noch haeufiger angewandt. Hier werden die
Vergleiche immer wieder praezieser; so heisst es: "[…] rot, nicht rot wie
Blut, rot wie die Spiegellichter in einem Glas voll roten Weines." (Frisch
1992: 315); "oder […] gelb, aber nicht gelb wie Honig, duenner, gelb wie
Whisky, gruenlich- gelb wie Schwefel […] " (Frisch 1992: 316) neben den zahlreichen Vergleichen gibt es hier auch Metaphern: Teichen voll
Weissglut; Schwaden von buntem Nebel; Sterne ueber einer Sintflut von Neon-
Limonade; Teppiche, die aber gluehen […] usw. (Frisch 1992: 314)

Die Widerspruechlichkeit dieser Riesenstadt, die der Erzaehler eine
"Orgie der Disharmonie" nennt (Frisch 1992: 315), spiegelt sich auch in antithetischen Figuren, die zwiespaeltige Gefuehle des Erzaehlers zum
Ausdruck bringen. "Menschen oder Termiten; Sinfonie und Limonade; sinnlich und leblos zugleich; geistig und albern und gewaltig" (Frisch 1992. 316).

Lyrischer im Ton ist die dritte groessere Landschaftsbeschreibung dieses Textes, die eine Landschaft in der Nahe von Zurich beinhaltet, wo
Stiller mit dem Staatsanwalt zu Mittag isst und wo er vor vielen Jahren mit
Julika war.

Da heisst es z. B.: "[...] die Zeit streicht wie eine unsichtbare
Gebaerde ueber die Range" (Frisch 1992: 351) oder "[...] eine blaeuliche
Geraeumigkeit fuellt die leeren Wipfel der Baeume, und wieder lodert das
Welken an den Hausmauern empor, klettert das letzte Laub in gluehender
Brunst der Vergaengnis" (Frisch 1992: 352). Hier dominiert nicht die
Beschreibung, sondern die durch die Landschaft ausgeloeste Erinnerung.

"Es muss an mir liegen… Nocheinmal ist alles da, die Wespen in der
Flasche, die Schatten im Kies, die goldene Stille der Vergaengnis, alles wie verzaubert […]" (Frisch 1992: 349).

In der letzten Beschreibung dominiert nicht Stiller, sondern seine
Erinnerungen an Julika. In den ersten zwei Beschreibungen ist seine erwuenschte Realitaet vorhanden, er geniesst dabei jede Einzelheit, weil diese Schilderungen sein Inneres widerspiegeln und mit ihm identisch sind.

Es kann festgestellt werden, dass nicht nur in Opposition 'die Schweiz-
Amerika' sprachliche Mittel zur Entstehung und zum Zusammenspiel der
Realitaeten beitragen. Es gibt konkrete Griffe, die der Autor einsetzt, um die Mehrschichtigkeit der Textwirklichkeit emporzuheben. Joachim Kaiser z.
B. hat auf die Bedeutung der Klammer aufmerksam gemacht, die typisch fur
Frischs Stil sei. (vgl. Kaiser 1971: 50) Auch im "Stiller" finden sich zahlreiche Klammern (linguistisch gesehen sind das Parenthesen), so heisst es zum Beispiel ueber Spanienerlebnisse, wo sich White Gedanken ueber
Stiller macht: "Seine Feuerprobe bestand er (vielmehr: er bestand sie eben nicht!) vor Toledo, wo die Faschisten sich im Alcazar veschanzt hatten"
(Frisch 1992: 139) Oder: "Natuerlich ritt ich schon im Morgengrauen (in einem grossen Bogen, damit man mir nicht auf die Spur kam) wieder zu meiner
Grotte" (Frisch 1992: 158)

"Jim traute meinen Schaetzungen nicht, dabei hat die spaetere
Erforschung jener Kavernen (die Touristen erreichen sie heutzutage von
Karlbad her, New Mexico, mit dem Bus) ganz andere Masse ergeben." (Frisch
1992: 163)

Die Klammer ergaenzt und praezisiert, hat einen Realitaetsbezug, aber sie ironisiert und distanziert auch, weisst auf "fremde Realitaeten" hin, nicht nur in den Protokollen des 2., 4. und 6. Heftes, wenn das eingeschobene (so sagt er selbst), (so sagt Sibylle) usw. das Erzaehlte immer wieder vom Erzaehler abrueckt, sondern auch im eigentlichen Tagebuch:
"So (ungefaehr) werde ich zu Frau Julika Stiller-Tschudy sprechen [... ]"
(Frisch 1992: 343).

Es lohnt sich auch auf ein weiteres Aspekt, naemlich auf den Gebrauch von Helvetismen aufmerksam zu werden. Sie treten im Text als Bestandteile einer der vorhandenen Realitaeten auf.

Walter Schenkers ausfuehrliche Untersuchung behandelt diesen
Teilaspekt, naemlich die Rolle, die die schweizerische Mundart in "Stiller" spielt. Wenn naemlich Stiller in der Rolle Whites seine Schweizer Herkunft verleugnet, so muss er darauf achten, keine Helvetismen in seine
Aufzeichnungen einfliessen zu lassen. Dies gilt natuerlich vor allem fuer die Hefte 1, 3 und 5, waehrend die Hefte mit gerader Numerierung ja das wiedergeben, was ihm andere erzaehlt haben sollen; hier besteht also kein
Grund schweizerische Redewendungen aengstlich zu vermeiden. So gebraucht er z. B. im 2. Heft den Ausdruck Coiffeur, den Max Frisch nach Schenkers
Auskunft als typisch schweizerisch empfindet. (Schenker 1969: 55) Ebenso heisst es im 2. Heft: "Kurz darauf erschien die Schwester, um sich zu erkundigen, ob Frau Julika wirklich nicht zu kalt hatte" (Frisch 1992:
144). Der Ausdruck ich habe kalt statt hochdeutsch mir ist kalt ist eindeutig schweizerisch. Eine aehnlich schweizerische Wendung ist: "Die
Sonne machte sehr warm" (Frisch 1992: 415), ein Ausdruck, den der
Staatsanwalt in seinem Nachwort benutzt.

Ob es allerdings White wirklich gelingt, das Tagebuch von Helvetismen freizuhalten, ist fraglich. So schreibt er z. B.: "Es war keine
Kleinigkeit, die steifen Gladiolen einigermassen zu buscheln (Frisch 1992:
250). Das Wort buscheln empfindet auch Frisch nach Schenker als mundartlich. (Schenker 1969: 91) Je weiter das Tagebuch fortschreitet, desto weniger achtet der Schreiber darauf, keine Helvetismen zu gebrauchen; als er im 7. Heft seine Vergangenheit durch den Gebrauch der ersten Person als die seinige anerkennt, schreibt er z. B. wieder Coiffeur (Frisch 1992:
382) oder die Sonne gibt warm (Frisch 1992: 349).

Sprache und Stil im Allgemeinen sind vielmehr von der Problematik und
Struktur des Romans abhaengig, wobei sich die eigentuemliche Situation ergibt, dass der Titelheld, der sich ja schriftlich und muendlich gut zu artikulieren versteht, gerade dann verstummt, wenn es um seine persoenlichste, existenzielle Erfahrung geht. Das kann zugleich als Signal der Umschaltung der Realitaeten gelten. Je weiter sich Stiller von seinen existenziellen Erfahrungen entfernt, desto leichter findet er Worte. So zum
Beispiel, wenn er Knobel beredt und farbig seine Abenteuer erzaehlt.

"Das ist es: ich habe keine Sprache fuer die Wirklichkeit", heisst es unter PS bereits am Ende des 1. Heftes. Und nach Reflexionen ueber die
Frage, wer er in Wirklichkeit ist, schliesst der Tagebuchschreiber diesen
Abschnitt nochmals mit dem Satz: "Ich habe keine Sprache fuer meine
Wirklichkeit! (Frisch 1992: 84) "Jedes Wort ist falsch und wahr, das ist das Wesen des Worts [...]" (Frisch 1992: 175), steht im 3. Heft, und schliesslich reflektiert Stiller im 7. Heft im Zusammenhang mit dem Sinn des Tagebuchs:

"Schreiben ist nicht Kommunikation mit Lesern, auch nicht
Kommunikation mit sich selbst, sondern Kommunikation mit dem
Unaussprechlichen. Je genauer man sich auszusprechen vermochte, um so reiner erschiene das Unaussprechliche, das heisst die Wirklichkeit, die den
Schreiber bedraengt und bewegt. Wir haben die Sprache, um stumm zu werden.
" (Frisch 1992: 330). "Wer schweigt, ist nicht stumm. (Juergensen 1972: 99)
Wer schweigt, hat nicht einmal eine Ahnung, wer er nicht ist."

Das Verstummen, das in letzter Konsequenz zum Wechsel der
Erzaehlerperspektive fuehrt, setzt ein, nachdem er seine Vergangenheit als die seine anerkannt und, wenn auch nicht ohne Zwang, seine Identitaet als
Stiller akzeptiert hat. (vgl. Schenker 1969: 116) Vielleicht deutet auch der Name Stiller auf dieses Verstummen.

Sprache und Stil werden also fuer den Tagebuchschreiber von dem
Verhaeltnis bestimmt, in dem sich das Dargestellte zu seiner persoenlichen
Problematik befindet, Er weicht dort, wo die Sprache die unmittelbare
Erfahrung nicht ausdrueckt, ins Parabolische aus, sucht sich in Geschichten und Traeumen, in Bildern und Vergleichen auszudruecken.

Schlussfolgerung

Im Rahmen der vorliegenden Diplomarbeit haben wir uns zum Ziel gesetzt das Phaenomen des Zusammenspieles der Textrealitaeten im Roman "Stiller" zu erlaeutern.

Im Zusammenhang mit dem gesetzten Ziel haben wir uns mit folgenden
Aufgaben auseinandergesetzt und sind zu folgenden Schluessen gekommen:

. Der Aufbau des Romans, die Form und Funktion des Tagebuches, deren sich der Autor bedient, beeinflussen die Offenheit des Romans. Die

Autorenposition von Max Frisch, die im Roman zum Ausdruck kommt, bawaegt den Leser zum Nachdenken und macht ihn zu einem

'Mitspieler'. Diese unvollendete literarische Form bewirkt, dass der

Autor dem Leser sein eigenes Bildnis nicht aufzwingt. Die knappe

Information, die der Leser beim Rezeptionsvorgang erhaelt, ergibt

Leerstellen, die er mit eigenen Assoziationen, Theorien und

Vermutungen fuellt. Die Perspektivierung der dargestellten

Ereignisse fuehrt unter anderem zu verschiedenen

Interpretationsmoeglichkeiten.

. Erzaehlsituation und Erzaehlhaltung, insbesondere ihre zahlreichen

Aenderungen im Rahmen des Erzaehlens, treten als Signale der

Umschaltung der Realitaeten auf.

. Das Fehlen der einheitlichen Textwirklichkeit, naemlich das

Phaenomen "Text im Text" und damit verbundene Erscheinung "virtuelle

Textwirklichkeit" sind wesentliche Merkmale des Zusammenspieles zwischen Fakt und Fiktion. Die Mehrschichtigkeit der

Textwirklichkeit kommt in "Stiller" in solchen Textfragmenten wie erzaehlte Geschichten, parabolische Geschichten, Traeume zum

Ausdruck. Diese Behauptung wird in der vorliegenden Arbeit unter anderem durch die psychoanalytischen Theorien der Traumdeutung und

Belletristik von Sigmund Freud bestaetigt. Diesen Theorien zufolge verarbeitet der Mensch ihm widerliche Wirklichkeit und ersetzt sie durch eine neue, erwuenschte, indem er traeumt und Geschichten erfindet. Mit anderen Worten, er vertauscht Realitaeten und spielt mit ihnen. Indem der Tagebuchschreiber Fiktionen waehlt, um sich auszudruecken, indem er Geschichten erzaehlt, mit anderen Worten moegliche Beispiele gibt, fuer das, was ihm wiederfahren ist, versucht er sich selbst zu erkennen.

( Die Gegenueberstellung 'die Schweiz- Amerika', die sich im

Rahmen des Forschungsthemas von der zeitlich- raeumlichen Perspektive aus vollzieht, ist zusammen mit der Untersuchung der Sprache und des

Stils wesentlicher Bestandteil der analysierten Erscheinung des

Zusammenspiels der Textrealitaeten. Beim Vergleich des

'schweizerischen' und 'amerikanischen' Textes offenbaren sich inhaltliche und sprachliche Instrumente und Signale, die die

Autorenabsicht veranschaulichen.

- Die raeumliche und geistige Enge der Schweiz wird mit dem Sinnbild der Weite, mit Amerika konfrontiert. Das kommt durch die Wortwahl zum Ausdruck, wobei fuer die Schweiz z. B. Epitheta wie "klein, angemessen, genuegend" und fuer Amerika solche wie "gross, gluehend, unsaeglich, bluehend" gewaehlt werden.

- Diese Tatsache widerspiegelt sich auch auf der Zeitebene, wo

Vergangenheit und Gegenwart ineinander verflochten bleiben. Dadurch entstehen Brechungen, so dass sich Ereignisse gegeseitig spiegeln und erhellen. Die amerikanische, bzw. mexikanische Ereignisse werden meistens im Praesens beschrieben, was von gewisser

Zeitlosigkeit, mit anderen Worten Fiktion, des dortigen Lebens zeugt. Im 'schweizerischen' Text bleibt die Vergangenheit und

Gegenwart miteinander vermischt, was die Tatsache zuspitzt, dass der Tagebuchschreiber seine Vergangenheit nicht loswird.

- Sprache und Stil werden fuer den Tagebuchschreiber von dem

Verhaeltnis bestimmt, in dem sich das Dargestellte zu seiner persoenlichen Problematik befindet, er weicht dort, wo die Sprache die unmittelbare Erfahrung nicht ausdrueckt, ins Parabolische aus, sucht sich in Geschichten und Traeumen, in Bildern und Vergleichen auszudruecken.

Die Untersuchung, die im Rahmen der vorliegenden Forschungsarbeit durchgefuehrt war, ist einer der Wege komplizierte Welt des Romans zu beschreiben. Das Phaenomen des Zusammenspieles der Realitaeten hat ausserdem mit der Beschreibung der obenerwaehnten Textfragmente noch nicht sein Bewenden, denn der ganze Text basiert auf Wechselbeziehungen von verschiedenen Perspektieven. Das kommt fast in jedem Satzt zum Ausdruck: in
Repliken, Beschreibungen von Gestalten, in der Wahl von Epitheta.

Das von uns gewaehlte Herangehen an die Analyse des Zusammenspiels der
Textrealitaeten im Rahmen eines fiktionalen Textes ist nur eines der
Verfahren die Autorenabsicht von Max Frisch zu verstehen.

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